Die vier begeisterten Leser diskutieren über Neuerscheinungen von Ingo Schulze, Moritz von Uslar, Colm Tóibín und einen wiederaufgelegten Klassiker von Vicki Baum.
"Die rechtschaffenen Mörder" von Ingo Schulze
Kann ein rechtschaffener Bürger und angesehener Dresdner Antiquar zum rechtsradikalen Extremisten, vielleicht sogar zum politischen Mörder mutieren? Was ist der gesellschaftliche Kontext, der heute einen Menschen in Deutschland zum Reaktionär oder zum Revoluzzer werden lässt? Ingo Schulze untersucht in "Die rechtschaffenen Mörder" den politischen Nährboden einer Radikalisierung und erzählt die Geschichte eines scheinbar unauffälligen Mannes. Eine Parabel auf den Zustand unseres Landes als Roman und eine Lektüre, die liebgewonnene Gewissheiten auf den Kopf stellt.
"Nochmal Deutschboden" von Moritz von Uslar
Zehn Jahre nachdem die literarische Reportage "Deutschboden" erschien, hat Moritz von Uslar erneut das ostdeutsche Havel-Städtchen Zehdenick besucht. Was hat sich verändert, hat sich überhaupt etwas verändert? Schnell wird in "Nochmal Deutschboden" klar: Das hier ist nicht mehr das Deutschland, das es noch vor zehn Jahren war. Der Ton unter den Einwohnern ist rauer geworden, die gesellschaftlichen Gräben tiefer. 30 Jahre nach dem Fall der Mauer ist das Land im Umbruch. Moritz von Uslar ist ein Seismograph der Veränderungen.
"Haus der Namen" von Colm Tóibín
Colm Tóibín kennt die Macht der Mythen und weiß um die Aktualität klassischer Stoffe. Spätestens mit "Marias Testament" (2014), einer Neuinterpretation des biblischen Familiendramas, hat der irische Schriftsteller gezeigt, dass antike Geschichten auch in der Gegenwart wirkmächtig sein können. Jetzt hat er sich in "Haus der Namen" eine wahrhaft mörderische Familie vorgenommen: Das Königsgeschlecht Orestie vernichtet sich Stück für Stück selbst. Die den antiken Stoff beherrschenden Themen wie Opferung der Tochter, Gattenmord und Rache treten bei Tóibín in den Hintergrund. Ihn interessieren mehr die Mechanismen von Herrschaft, die Sprache der Macht und die Psychologie von Gewalt und Terror. Das ist ebenso zeitlos wie von aktueller Dringlichkeit.
"Vor Rehen wird gewarnt" von Vicki Baum
Mit Vicki Baum wird vor allem ihr Roman "Menschen im Hotel" verbunden. Mit ihm landete die in Wien geborene jüdische Schriftstellerin 1929 einen internationalen Bestseller. Hollywood verfilmte die Geschichte und lud Vicki Baum 1931 zur Premiere nach Los Angeles ein. Sie blieb in den USA und überlebte den Holocaust. In Nazi-Deutschland waren ihre Bücher verboten. "Vor Rehen wird gewarnt" erschien 1951. Es ist das Psychogramm einer rücksichtslos ehrgeizigen und kompromisslos emanzipierten jungen Frau und ihrem Streben nach Selbstverwirklichung. Vicki Baum, 1960 in Hollywood gestorben, war eine der meistgelesenen Schriftstellerinnen des 20.Jahrhunderts. Jetzt wurde "Vor Rehen wird gewarnt" neu aufgelegt.
"Das Literarische Quartett" wird im Rang-Foyer des Berliner Ensembles mit Publikum aufgezeichnet. Die nächste Sendung wird am 1. Mai 2020 ausgestrahlt.