Angriff durch „Zeus“ und „Gipsy“ auf Schulgelände
An einem warmen Sommermorgen springen zwei Kampfhunde über die Schulmauer und stürzen sich auf den spielenden Jungen Volkan. Die Tiere – „Zeus“, ein Mischling aus Pitbull und American Staffordshire, sowie „Gipsy“, ein Mix mit Bullterrier – beißen ihn mehrfach in Kopf und Gesicht. Der Halter Ibrahim K. versucht vergeblich, sie zurückzuhalten. Erst zwei Passanten greifen ein und ziehen die Tiere vom Jungen weg. Die von einer Schülerin alarmierte Polizei erschießt beide Hunde mit 18 Schüssen aus Maschinenpistolen. Doch es ist zu spät – Volkan verblutet noch auf dem Pausenhof.
Im Laufe der Ermittlungen wird deutlich: Ibrahim K. war den Behörden bekannt. Mehrere Anzeigen wegen Körperverletzung und Verstößen gegen das Tierschutzgesetz lagen vor. Er hatte „Zeus“ gezielt abgerichtet – unter anderem an Kinderschaukeln, um die Beißkraft des Hundes zu trainieren. Bereits 1998 griff „Zeus“ eine Frau mit Schäferhund an. Trotzdem blieb er in K.s Besitz.
Hamburgs Reaktion - Einführung der Hundeverordnung
Nach dem Tod Volkans wird Hamburg aktiv – als erstes Bundesland führt es im Jahr 2000 eine Hundeverordnung ein. Die Regelung verbietet die Haltung von vier Hunderassen: American Pitbull Terrier, American Staffordshire Terrier, Staffordshire Bullterrier und Bullterrier – sowie deren Mischlinge. Diese Tiere gelten als „unwiderlegbar gefährlich“ und dürfen nicht mehr gehalten werden. Weitere Rassen der Kategorie 2 dürfen nur mit Maulkorb und an der Leine geführt werden, ein Wesenstest kann Ausnahmen ermöglichen.
2006 folgt das Hundegesetz, 2012 wird es verschärft. Ziel ist es, Angriffe wie im Fall Volkan zu verhindern. Die Debatte spaltet jedoch weiterhin die Gesellschaft. Während Befürworter von einer gesunkenen Zahl an Beißvorfällen sprechen, kritisieren Tierschutzorganisationen die Regelung als diskriminierend.
Stimmen der Kritik - Tierschützer gegen Rasseliste
Janet Bernhardt, Vorsitzende des Hamburger Tierschutzvereins, kritisiert die Liste als pauschalisierend. Sie lebt selbst mit einer Bullterrier-Hündin in Schleswig-Holstein, wo es seit 2016 keine Rasseliste mehr gibt. „Sobald ich einen Schritt nach Hamburg mache, gilt mein Hund als gefährlich“, erklärt sie. Sie fordert stattdessen einen Hundeführerschein, der sicherstellt, dass Halter ihre Tiere artgerecht erziehen.
Laut Bernhardt hängt das Verhalten eines Hundes nicht von der Rasse, sondern von Erziehung und Haltung ab. Auch im Fall von „Zeus“ sei das Fehlverhalten auf den Besitzer zurückzuführen. Sie plädiert für individuelle Beurteilung statt pauschaler Verbote. Ihre Meinung wird von vielen Tierschutzverbänden geteilt.
Uneinheitliche Regelungen im Bundesvergleich
In Deutschland gibt es keine einheitliche Hundeverordnung. Während Hamburg an der Rasseliste festhält, haben Bundesländer wie Niedersachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern die Liste abgeschafft. In Schleswig-Holstein entfiel die Regelung 2016. In anderen Ländern gelten je nach Rasse und Bundesland unterschiedliche Vorschriften.
Laut Sarah Timmann von der SPD, Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft seit 2020, habe die Hamburger Verordnung dennoch Wirkung gezeigt. Im Jahr 2024 wurden 127 Beißvorfälle im öffentlichen Raum registriert, 2023 waren es 61. Zum Vergleich: 2014 waren es noch 152 Fälle. Timmann argumentiert, dass gerade in dicht besiedelten Gebieten wie Hamburg ein höheres Maß an Sicherheit nötig sei. Dennoch erkennt sie an, dass Halter häufig entscheidend seien – nicht die Tiere selbst.
Weitere Angriffe nach 2000
Auch nach dem Tod Volkans kommt es immer wieder zu schweren Hundeangriffen. Im August 2020 beißt ein Retriever-Mischling in Steilshoop ein zweijähriges Mädchen ins Gesicht. 2022 wird ein Kind in Rahlstedt lebensgefährlich verletzt. Im Jahr 2024 stirbt ein Mann in Geesthacht nach dem Angriff seines American Bully XL, einer nicht gelisteten Kreuzung. Im Februar 2025 wird in Hamburg-Eilbek ein einjähriges Kind in einem Buggy von einem Hund angefallen – die Rasse bleibt unklar.
Solche Fälle nähren die Forderungen nach einer bundesweit einheitlichen Regelung. Derzeit müssen Halter und Behörden mit einem Flickenteppich an Vorschriften arbeiten.
Gerichtliche Aufarbeitung und rechtliche Folgen
Ibrahim K. wird im Januar 2001 wegen fahrlässiger Tötung zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Im November 2003 erfolgt seine Abschiebung in die Türkei. Seine damalige Freundin, Silja W., Halterin der Hündin „Gipsy“, erhält ein Jahr Haft auf Bewährung. Sie zieht mit ihrer Familie in eine andere Stadt.
Die Grundschule an der Buddestraße, Ort des Angriffs, existiert nicht mehr. Heute befindet sich dort das „Bildungszentrum Tor zur Welt“, das mehrere Schulen und eine Kita umfasst. Das Gelände wurde neu gestaltet – doch die Erinnerung an das Ereignis vom 26. Juni 2000 bleibt.
Forderung nach besseren Kontrollen
Immer wieder steht auch das Verhalten der Behörden in der Kritik. Trotz zahlreicher Hinweise und Anzeigen gegen Ibrahim K. griffen Amtstierarzt, Bezirksamt und Polizei nicht ein. Ob der Tod Volkans durch frühere Maßnahmen hätte verhindert werden können, bleibt ungeklärt.
Viele fordern inzwischen klarere Zuständigkeiten und stärkere Kontrollen bei auffälligen Tierhaltern. In Kombination mit Schulungen und einem verpflichtenden Hundeführerschein könnte so das Risiko gefährlicher Vorfälle verringert werden.
Übersicht der wichtigsten Entwicklungen
Wichtige Eckdaten zur Hamburger Hundeverordnung:
-
2000: Einführung der Verordnung nach Volkans Tod.
-
2006: Inkrafttreten des Hamburger Hundegesetzes.
-
2012: Verschärfung der Regelungen.
-
2024: 127 registrierte Beißvorfälle im öffentlichen Raum.
Vier verbotene Rassen in Hamburg:
-
American Pitbull Terrier
-
American Staffordshire Terrier
-
Staffordshire Bullterrier
-
Bullterrier
Strittige Fragen bleiben bestehen. Der Fall Volkan steht weiterhin symbolisch für den Konflikt zwischen öffentlicher Sicherheit und Tierschutz. Klar ist: Die Verantwortung liegt nicht nur beim Tier, sondern vor allem beim Menschen.
Quelle: NDR